ITA ING DEU

Notizen (30): Alles falsch gemacht. Zu meinem Glück…

Gestern früh, als gerade die Sonne hinter dem Hügel drüben in den wolkenlos blaugrauen Himmel zu steigen begann, nach dem ersten Schluck meines täglichen caffelatte, schoss mir durch den Kopf: eigentlich habe ich in meinem Leben alles falsch gemacht. Ich erschrak ein bisschen und fragte mich, wie ich denn auf so eine Idee komme. Und fand schnell den Grund in den Zeitungen der letzten paar Tage. Unter anderem dieser Meldung, dass der ehemalige Außen-Joschka nun Professor an einer Uni in den USA werden solle. Ja herzlichen Glückwunsch, Herr Fischer! Wenn jemand so einen Ruf wirklich verdient, dann doch Sie!

Ich dagegen… – Das fing schon an damit, dass ich den dringenden Rat meines Vaters in den Wind schlug, mich doch gleich nach dem Abitur (auf das Joschka ja in zutreffender Einschätzung seiner wahren Begabungen verzichten konnte) einer Verbindung anzuschließen, nicht unbedingt einer schlagenden, aber doch schon einer Farben tragenden. Welche dem Ansehen, der Geselligkeit und dem Einkommen höchst nützliche Folgen ein solcher Schritt gehabt hätte, kann ich heute nur bedauernd vermuten. Aber ich: machte Studentenkabarett…

Und es ging genau auf diesem Weg weiter mit mir bergab: statt dann wenigstens in eine der etablierten, durch und durch demokratistischen Parteien hineinzutreten, nicht unbedingt in eine christliche, aber doch schon in eine Farbe bekennende (blaugelb oder rosa), entblödete ich mich nicht, mit anderen Hitzköpfen auf Münchener Straßen in die örtliche Springerdruckerei und kurz darauf wieder davonzurennen vor der Polizei, welche uns freundlicherweise mit Wasserwerfern ein bisschen abkühlen und zur Vernunft bringen wollte. Vergeblich!

Nicht viel später hatte ein gütiges Schicksal mir eine weitere große Chance eröffnet: es ließ zu, dass ich auch das zweite juristische Staatsexamen bestand und damit zu allem fähig wurde, was mit Recht und Gesetz in Deutschland zu schaffen hat. Und ich? Ging zum Fernsehen und machte Unterhaltung.

Meine Weigerung, endlich erwachsen zu werden, hielt an, trotz der eindringlichen Ratschläge mir sehr nahe oder auch etwas ferner stehender Menschen. Kopfschüttelnd und zugleich an Bedeutung und Reichtum zunehmend mussten sie alle mit ansehen, dass ich in abgeschrappten sogenannten autonomen (!) Jugendzentren oder auf Open-Air-Veranstaltungen die Laute schlug und entsprechende Lieder von mir gab. Das war dann in den Zeiten, als sich mir die wirklich letzte Gelegenheit bot, das Ruder meines Lebensschiffes herumzureißen. Eine ganze Menge meiner damaligen und früheren MitstreiterInnen gründeten DIE GRÜNEN. Wer Augen hatte zu sehen (und die Fähigkeit, in allen ihm sich bietenden Wassern zu fischern), begriff natürlich, was das bedeutete. Sozusagen auf den letzten Drücker hätte ich mich mit einer luziden staatsrechtlichen Begründung, dass der Kosovokrieg nicht nur kein Verstoß gegen das Grundgesetz darstellte, sondern von demselben geradezu dringend gefordert wurde, um Deutschland endlich weltweit verteidigen zu können, nachdem die Bedrohung aus dem Osten sich in Jelzin- oder Putin’sches Wohlgefallen aufgelöst hatte, mit einer solchen überzeugenden Logik, voll kühler Emotionalität vorgetragen, hätte ich mich doch habilitieren können! Und dann wäre ich gar nicht darauf angewiesen gewesen, dass sich eine US-Uni um mich bemüht. Vermutlich hätte ich gleich einen Lehrstuhl in Heidelberg angeboten bekommen. Oder einen Aufsichtsratssitz in einem Energiekonzern, den jetzt vielleicht der Jürgen Trittin bekommt, weil er sich ja auch auf dem richtigen Weg zu einem Experten hingebildet hat, mit dem man sich gerne schmückt, wenn man zum Global Play schreitet.

Vorüber, vorbei, verpasst. Geschieht mir deshalb ganz recht, dass ich nun hier in diesem großen, urigen ehemaligen Bauernhaus inmitten der sanft lächelnden Hügeln der Marken sitze, beim Sonnenaufgang meinen geliebten caffelatte schlürfe, dabei überlegend, ob ich erst noch ein bisschen draußen im Garten werkele oder gleich ans Meer hinüber fahre und ein bisschen entlanglaufe, um danach in dem ganzjährig geöffneten Fischrestaurant am Sandstrand diese phantastische grigliata mista mit einem kleinen gemischten Salat und einem Viertel Weißwein zu mir zu nehmen. Und dabei ein wenig den armen, armen Gerhard Schröder und den dito Joschka Fischer zu bedauern, die sich immer noch gegen diese unverdienten, niederträchtigen Anwürfe wehren müssen, obwohl sie sich doch dermaßen ums Vaterland verdient gemacht haben, dass sie endlich auch mal ein bisschen an sich denken dürfen, wenn das Wort Verdienen fällt.
Und beim abschließenden Espresso (den man nur in Deutschland so nennt und der hier einfach un caffè heißt) schüttele ich mich dann ein letztes Mal: Ich hab wirklich alles falsch gemacht.
Zu meinem Glück.

18.1.2006