ITA ING DEU

Notizen 47 Öl im Paradies

Heute Nacht, in einer längeren Zeit der Schlaflosigkeit (deren Ursache hier nichts zur Sache tut) schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ob es nicht ganz wunderbar wäre, wenn unter unserem Gelände hier am Adagio ein Erdöl-Feld entdeckt würde. Das wäre doch, so dachte ich, eine zwar ziemlich ungewöhnliche, aber überaus nachhaltige Lösung der Finanzprobleme, die wir immer noch haben, trotz der sensationellen Erhöhung meiner Rente von über einem Prozent ab dem nächsten Monat; für deren Finanzierung im Haushalt unsere selbstlosen Politiker doch tatsächlich die erneute Anhebung ihrer mickrigen Diäten innerhalb eines halben Jahres noch einmal verschoben haben, was für einige von ihnen, die nicht genügend Nebeneinkünfte beziehen, den Absturz in die völlige Altersarmut bedeuten dürfte. Keine wirkliche Beruhigung verschafft uns auch die Nachfrage nach unseren Appartements. Die steigt zwar, und wir können uns eigentlich nicht beklagen. Dafür, dass wir erst im zweiten Jahr der richtigen Vermietung sind (vorher war ja noch manches hier im Bau), läuft es wirklich gut. Ja noch mehr: wir erfahren von unseren Gästen eine Zustimmung, die wir uns so in unseren kühnsten Phantasien nicht ausgemalt hatten. Gewiss: wir haben bei der Gestaltung der Räume wie auch des Geländes nach jener Devise gehandelt, die Willy Brandt auf seinem Grabstein anbringen ließ, in aller, leicht koketten Bescheidenheit: Man hat sich bemüht. Da war schon eine Anerkennung zu erwarten; nicht jedoch diese oft geradezu lyrischen Formulierungen, die Schwaben einfielen ebenso wie Norddeutschen, Kölnern wie Mecklenburgern, Österreichern wie Schweizern. Wir lesen staunend die Einträge in den Gästebüchern, freuen uns über die immer neuen Zusicherungen „Wir kommen wieder“ und die Bestätigungen unserer eigenen Gefühle, hier in den italienischen Marken ein kleines Stückchen Paradies gefunden und geschaffen zu haben. Und wenn wir dann noch, so dachte ich in dieser Nacht, zum Beispiel einen Pool hätten… man könnte weiterhin daran denken, dass… Aber eben doch nicht: unfinanzierbar. Zumal bei den auch hierzulande mächtig steigenden Preisen. Wir sind doch keine Scheiche.

So kam ich auf das Erdöl-Feld. Wenn wir das hätten, dann wäre doch… dann könnte man… dann würde – Ach, von wegen!

Dann würde zunächst einmal ein Haufen ungeladener, unerwünschter, unerfreulicher Besucher im Adagio einfallen. Bosse von Förderanlagenvertriebsfirmen und Werbeagenturen, Anlageberater, Bankmanager, die ganzen üblichen Heuschrecken eben. Und bald auch die eigentlichen Drahtzieher dahinter vom Schlage Bush, Cheney, Rumsfeld und ähnlichen, allein um das Wohl ihrer Völker bemühten Figuren. Es würde sehr schnell Streit geben, weil wir darauf bestehen würden, das sei unser Öl. Es würde einen Einmarsch der USA geben, ohne Zustimmung der UNO und vielleicht sogar gegen den Rat des jetzigen Papstes, Berlusconi würde sofort seine Truppen beisteuern ebenso wie London. Struck von der SPD würde kurz vor seiner Verrentung die stillschweigende Billigung all dessen durch die Regierung der Großen Koalition rechtfertigen mit dem Satz, die Freiheit auf deutschen Autobahnen werde auch am Monte Conero verteidigt –

Nein, es reicht! Genug! So eine blöde Idee mit dem Öl m Paradies! Außerdem: der nächste Weltkrieg, so hat vor ein paar Tagen die Zeitung Repubblica geschrieben, wird um das Wasser geführt werden. Und da sind wir doch ganz gut versorgt, mit unserem kleinen Teich, nein: großen Teich, fast schon: unserem kleinen See am Haus hier. Dank der reichhaltigen Regenfälle der letzten Wochen ist er wieder gut gefüllt, und mittels der Pumpe, die der vorausblickende Installationshandwerker Mirco uns angeraten und dann auch eingebaut hat, können wir den inzwischen angelegten Gemüsegarten ohne schlechtes Gewissen wegen vergeudeten Trinkwassers ausgiebig gießen. Und wir ernten bereits Canasta-, Romana- und Rucola-Salat, die Gewürzstauden von Basilikum über Oregano, Schnittlauch und Petersilie gedeihen prächtig und die San-Marzano-Tomaten hängen voller Tomaten, noch grün, aber Mitte Juli, so hören wir, werden sie rot und reif sein. Weitere Pflanzungen sind in Planung, eine bescheidene Autarkie ist im Werden…

Alle diese Gedanken und Überlegungen beruhigten mich. Auch für die Finanzprobleme, so sagte ich mir und drehte mich in dieser Nacht mit aufkommender Heiterkeit auf die andere Seite, wird sich bei nüchterner Betrachtung eine Lösung finden lassen. Und unmittelbar, ehe ich wieder wegdämmerte, fiel mir noch ein, dass wir ja auch (inzwischen fünf) Olivenbäume auf unserem Gelände haben. Ironischerweise also doch, cum grano salis, Öl im Paradies. Nicht für Exxon, zum Glück. Sondern ex vergine.

  1. Juni 2008