Wer den
"TransDemokraten" bis
zu seinem (unbitteren) Ende gelesen hat, erinnert sich vermutlich an die
Kolumne "Persönliche Anmerkungen". Viele haben bedauert, dass sie nicht
mehr erschienen. Ab jetzt gibt es sie wieder, ich setze die laufende Zählung
fort. |
Nr.10 - 2005 |
Persönliche Anmerkungen Das Jahr 2006. Länger als zwei Jahre lebe ich jetzt schon hier
in Italien, mehr als in der alten BRD. Ein neues Zuhause, neue Nachbarn, ich
lebe mich ein, wenn auch vieles noch nicht wirklich vertraut ist: die Sprache
zeigt gnadenlos, wie wenig ihrer Feinheiten ich kenne, seit ich über das
„Basic“ hinausgekommen bin; die Rituale, nicht nur die religiösen
sind noch oft obskur; die Einschätzung der gesellschaftlichen und politischen
Vorgänge bleibt schwierig. Es war eine Herausforderung, selbstgewählt: sich einlassen auf
radikale Veränderung. Neugier und Spannung, zugleich die alten Ängste. Ich
wusste ja, ich würde bleiben, der ich war. Was und wie ich geworden bin, kann
ich nicht ablegen. Ich habe mich mitgenommen hierher. Auch nach zwei Jahren noch dominiert das Herantasten an das
Andere, es erfahren, erleben, verarbeiten, täglich neu der Versuch, es zu
begreifen. Die kleinen Banalitäten ebenso wie die existenziellen
Unterschiede. Und weiterhin eine Hilfe dabei: Reflexionen, Notizen, Berichte,
Beobachtungen: die Persönlichen Anmerkungen. |
Notizen (30): Alles falsch gemacht. Zu meinem
Glück…
Gestern früh, als gerade die Sonne hinter dem Hügel drüben
in den wolkenlos blaugrauen Himmel zu steigen begann, nach dem ersten Schluck
meines täglichen caffelatte, schoss mir durch den Kopf: eigentlich habe
ich in meinem Leben alles falsch gemacht. Ich erschrak ein bisschen und fragte
mich, wie ich denn auf so eine Idee komme. Und fand schnell den Grund in den
Zeitungen der letzten paar Tage. Unter anderem dieser Meldung, dass der
ehemalige Außen-Joschka nun Professor an einer Uni in den USA werden solle. Ja
herzlichen Glückwunsch, Herr Fischer! Wenn jemand so einen Ruf wirklich
verdient, dann doch Sie!
Ich dagegen… - Das fing schon an damit, dass ich den
dringenden Rat meines Vaters in den Wind schlug, mich doch gleich nach dem
Abitur (auf das Joschka ja in zutreffender Einschätzung seiner wahren
Begabungen verzichten konnte) einer Verbindung anzuschließen, nicht unbedingt
einer schlagenden, aber doch schon einer Farben tragenden. Welche dem Ansehen,
der Geselligkeit und dem Einkommen höchst nützliche Folgen ein solcher Schritt
gehabt hätte, kann ich heute nur bedauernd vermuten. Aber ich: machte
Studentenkabarett…
Und es ging genau auf diesem Weg weiter mit mir bergab:
statt dann wenigstens in eine der etablierten, durch und durch demokratistischen
Parteien hineinzutreten, nicht unbedingt in eine christliche, aber doch schon
in eine Farbe bekennende (blaugelb oder rosa), entblödete ich mich nicht, mit
anderen Hitzköpfen auf Münchener Straßen in die örtliche Springerdruckerei und
kurz darauf wieder davonzurennen vor der Polizei, welche uns freundlicherweise
mit Wasserwerfern ein bisschen abkühlen und zur Vernunft bringen wollte.
Vergeblich!
Nicht viel später hatte ein gütiges Schicksal mir eine
weitere große Chance eröffnet: es ließ zu, dass ich auch das zweite juristische
Staatsexamen bestand und damit zu allem fähig wurde, was mit Recht und Gesetz
in Deutschland zu schaffen hat. Und ich? Ging zum Fernsehen und machte
Unterhaltung.
Meine Weigerung, endlich erwachsen zu werden, hielt an,
trotz der eindringlichen Ratschläge mir sehr nahe oder auch etwas ferner
stehender Menschen. Kopfschüttelnd und zugleich an Bedeutung und Reichtum
zunehmend mussten sie alle mit ansehen, dass ich in abgeschrappten sogenannten
autonomen (!) Jugendzentren oder auf Open-Air-Veranstaltungen die Laute schlug
und entsprechende Lieder von mir gab. Das war dann in den Zeiten, als sich mir
die wirklich letzte Gelegenheit bot, das Ruder meines Lebensschiffes
herumzureißen. Eine ganze Menge meiner damaligen und früheren MitstreiterInnen
gründeten DIE GRÜNEN. Wer Augen hatte zu sehen (und die Fähigkeit, in allen ihm
sich bietenden Wassern zu fischern), begriff natürlich, was das bedeutete.
Sozusagen auf den letzten Drücker hätte ich mich mit einer luziden staatsrechtlichen
Begründung, dass der Kosovokrieg nicht nur kein Verstoß gegen das Grundgesetz
darstellte, sondern von demselben geradezu dringend gefordert wurde, um
Deutschland endlich weltweit verteidigen zu können, nachdem die Bedrohung aus
dem Osten sich in Jelzin- oder Putin’sches Wohlgefallen aufgelöst hatte,
mit einer solchen überzeugenden Logik, voll kühler Emotionalität vorgetragen,
hätte ich mich doch habilitieren können! Und dann wäre ich gar nicht darauf angewiesen
gewesen, dass sich eine US-Uni um mich bemüht. Vermutlich hätte ich gleich
einen Lehrstuhl in Heidelberg angeboten bekommen. Oder einen Aufsichtsratssitz
in einem Energiekonzern, den jetzt vielleicht der Jürgen Trittin bekommt, weil
er sich ja auch auf dem richtigen Weg zu einem Experten hingebildet hat, mit
dem man sich gerne schmückt, wenn man zum Global Play schreitet.
Vorüber, vorbei, verpasst. Geschieht mir deshalb ganz
recht, dass ich nun hier in diesem großen, urigen ehemaligen Bauernhaus inmitten
der sanft lächelnden Hügeln der Marken sitze, beim Sonnenaufgang meinen
geliebten caffelatte schlürfe, dabei überlegend, ob ich erst noch ein
bisschen draußen im Garten werkele oder gleich ans Meer hinüber fahre und ein
bisschen entlanglaufe, um danach in dem ganzjährig geöffneten Fischrestaurant
am Sandstrand diese phantastische grigliata mista mit einem kleinen gemischten
Salat und einem Viertel Weißwein zu mir zu nehmen. Und dabei ein wenig den armen,
armen Gerhard Schröder und den dito Joschka Fischer zu bedauern, die sich immer
noch gegen diese unverdienten, niederträchtigen Anwürfe wehren müssen, obwohl
sie sich doch dermaßen ums Vaterland verdient gemacht haben, dass sie endlich
auch mal ein bisschen an sich denken dürfen, wenn das Wort Verdienen fällt.
Und beim abschließenden Espresso (den man nur in
Deutschland so nennt und der hier einfach un caffè heißt) schüttele ich
mich dann ein letztes Mal: Ich hab wirklich alles falsch gemacht.
Zu meinem Glück.
18.1.2006
Und, wie immer, der
Tipp: mal wieder reinschauen bei Adagio